„Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kömmt darauf an, sie zu verändern“ (Karl Marx)

Sunday, June 17, 2007

Waldheim und die Opferthese

Robert Menasse schrieb über Kurt Waldheim, er sei ein „Aufklärer wider Willen“.
Um zu verstehen, was Waldheim überhaupt aufgeklärt hat, ein kleiner Blick in die Geschichte der 2. Republik:

Mit Ende des 2. Weltkrieges wurde in Österreich ein für alle mal die große propagandistisch aufgebaute Illusion eines neuen paradisischen 3. Reiches zerstört. Die Frage, die nun die Nation beschäftigte war, wie soll man nun neu anfangen? Der Krieg verloren, die Städte zerbombt und das Land besetzt. Doch die Eliten fanden eine Möglichkeit, mit einem Schlag die Vergangenheit zu tilgen und einen kompletten Neuanfnag zu starten: Die Moskauer Deklaration. In dieser wurde, nach langen und zähen Verhandlungen, festgeschrieben, dass Österreich das erste Opfer des Nationalsozialismus war. Diese Verhandlungen waren wichtig, da in der ersten Fassung noch von Mitschuld Österreichs die Rede war. Realpolitisch bedeutete dies, dass Österreich von alle Schulden reingewaschen wurde, keine Reparationszahlungen und auch keine Wiedergutmachung zu leisten hatte. Gesellschaftlich bedeutete dies, dass die Jahre des Nationalsozialismus aus der Geschichte Österreichs einfach gelöscht wurden. Mit Hilfe der Sozialpartnerschaft und einem konfliktverdrängenden Konsens wurde Österreich wirtschaftlich wieder auf Vordermann gebracht, die alten Nazis wurden schon für die Wahlkämpfe Ende der vierzige Jahre von den Parteien umgarnt und die braune Intelligenz konnte ihre alten Posten wieder besetzen.
Mit Hilfe dieser „Opferthese“ funktionierte alles bestens bis plötzlich Kurt Waldheim während des österreichischen Präsidentenwahlkampfes auf Fragen nach seiner Vergangenheit während des Nazi-Regimes Gedächntislücken bekam, die sich aber mit steigendem politischen Druck wieder anfingen zu füllen. Man kann nicht behaupten Waldheim sei ein Kriegsverbrecher gewesen. Bezeichnend war aber, dass er mit seiner Auffassung einer einfachen „Pflichterfüllung“ die Interpretation der Geschichte einer ganzen Generation aufdeckte: Es gab keine Mittäter oder Mittschuldige. Es gab nur Opfer.
Robert Menasse scheibt dazu:
Waldheim aber definierte sich darüber, dass er nie etwas anderes gemacht hatte als alle anderen (seine Wähler) auch, bzw. was sie auch gemacht hätten- die Frage, was gemacht wurde, wurde durch die Frage, was man den sonst hätte machen sollen, ersetzt, Machen also mit Nichts- gemacht- Haben, Ohnmacht und Überleben gleichgesetzt, und in dieser Gleichsetzung war die Kluft zwischen dem höchsten Beamten des Staates und der breiten Masse der Staatsbürger nahtlos aufgehoben“
Die Solidarierung des Wahlvolkes mit dem ÖVP Wahlslogan „ Jetzt erst recht“ die Waldheim zum österreeichischen Präsidenten machte, zeigte auch wie stark sich die Gesellschaft durch diese Affäre in ihrem Selbstverständnis einer verdrängten Geschichte bedroht und letzlich auch verletzt sah.
Trotzdem konnten die aufklärerischen Entwicklungen nicht mehr aufgehalten werden:
„Weil es durch ihn deutlich wurde: Was zuvor dumpfe, uneingestandene, allgemeine Identität Österreichs war, wurde erst durch deren Personifizierung im höchsten Amt des Staates weithin sichtbar“ (Menasse). Allmählich wurde das Fragen nach den sieben Jahren Österreich und Nationalsozialismus möglich. Die österreichische Politk realisierte auch diese Entwicklungen und begann auch offiziell die Geschichte aufzuarbeiten. So wurden Nationalfonds zur Wiedergutmachung und für Reparationen an die Opfer des Regimes eingerichtt, Mahn- und Denkmäler aufgstellt und der 5.Mai wurde zum offziellen Gedenktag der Republik. Langsam begannen auch Politiker öffentlich die Opferthese durch eine Mittäterthese zu ersetzen. Dieser Prozess wurde dann durch die Wehrmachtsausstellung und die damit verbundenen Debatten und Aufarbeitungsdiskurse verstärkt.
Schließlich und das meint auch Menasse mit „Aufklärer wider Willen“ „löste die Waldheim- Affäre eine langfristige Transformation in der Konstruktion der österreichischen NS- Vergangenheit aus“ (Manoschek). Das Waldheim in seinem Testament als Grund für das späte Auseinandersetzen mit der NS- Vergangenheit seine langen Auslandsaufenthalte nennt, deckt aufs Neue das völlig verquere Geschichtsverständnis einer ganzen Generation auf.

Das dieses Thema immer noch aktuell ist zeigt auch der Umstand, dass die SPÖ über 60 Jahre gebraucht hat, um mit der Studie „Braune Flecken in der SPÖ“ ihre NS- und Nachkriegsvergangenheit aufzuarbeiteten. Wie lange die zweite große Volkspartei ÖVP noch dazu braucht ist mehr als fraglich, zumal im Parlamentsklub immer noch ein Bild von Engelbert Dollfuß die Wand ziert und der ehemalige Bundeskanzler und aktuelle Klubchef Wolgang Schüssel im Jahr 2000 der „Jerusalem Post“ zum Jahrestag des Novemberprogroms mitteilte:
Der souveräne österreichsiche Staat war das erste Opfer des Naziregimes. Die Nazis nahmen Österreich mit Gewalt. Die Österreicher waren das erste Opfer“ (zitiert nach Manoschek).

Quellen:

Manoschek, Walter (2001). Die Wehrmacht und die Ausstellung „Vernichtungskrieg“, ÖZP 1/2001

Menasse; Robert (2005). Das war Österreich, Suhrkamp.

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